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Montag, 25.07.2022 11:36 - Alter: 2 Jahre

Trauer um Alfred Koerppen

Alfred Koerppen, 1983 mit dem Niedersachsenpreis für Kultur und 2007 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens ausgezeichnet, war nicht nur ein Komponist mit sehr umfangreichem und weit gefächertem Œuvre vokaler und instrumentaler Kompositionen aller Gattungen, sondern auch eine der herausragenden kreativen wie reflexiven Gründungspersönlichkeiten der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Beispielgebend dafür ist, dass er zur Eröffnung des Hochschul-Neubaus 1973 keine Festmusik beisteuerte, sondern eine Parabel von der Vergeblichkeit menschlichen Strebens – Das Stadtwappen. Szene für Soli, gemischten Chor und großes Orchester nach einem Text von Franz Kafka.

Alfred Koerppen, so fasst Richard Jakoby zusammen, habe in seinen Kompositionen „Partei für Affekte“ ergriffen, „die in der Moderne im Begriff sind zu verschwinden“, weigere „sich, ihren Schwund als Zeitsymptom hinzunehmen“, wolle, dass „Freude, Grazie, Mut, Hochherzigkeit ihre Stimme behalten“ und sei „ein Einzelkämpfer“, der „jede ‚Szene‘, auch die der Neuen Musik“ meide, d. h. sein „Verhältnis zu den Tönen und Klängen“ sei „hochpersönlich“.

Alfred Koerppen wurde am 16. Dezember 1926 in Wiesbaden geboren und begann als Sechsjähriger mit dem Klavierunterricht. Hinzu kamen vielfältige musikalische Erfahrungen durch seinen Vater August Koerppen, später Korrepetitor und Kapellmeister am Wiesbadener Staatstheater. Von 1939 bis 1945 besuchte Alfred Koerppen das Musische Gymnasium in Frankfurt am Main (das 1943 nach der Zerstörung nach Untermarchtal an der Donau verlegt wurde). An dieser Schule für musikalisch hochbegabte Schüler war es vor allem Kurt Thomas (Leiter des Gymnasiums und späterer Thomaskantor), der Alfred Koerppen prägte und in Musiktheorie und Komposition unterrichtete. In diese Zeit fallen erste Aufführungen von Koerppens Kompositionen sowie eine erste Begegnung mit Italien. Im Herbst 1945 übernahm Koerppen eine Organistenstelle an der St. Antonius-Kirche in Frankfurt-Westend und war als privater Musiklehrer tätig.

Von hier aus kam Alfred Koerppen nach Hannover – an die Landesmusikschule, seinerzeit in der Rumannstraße untergebracht, aus der später die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover hervorging. Koerppen erinnert sich an die beeindruckende Aufbauarbeit in den Jahren 1947-51:

„Im Frühherbst des Hungerjahres 1947 – ich war Organist in Frankfurt und tat meine ersten Schritte in die labyrinthische Klangwelt der neuen Musik, die sich eben aufgetan hatte – erhielt ich einen Brief aus Hannover; es wurde ein junger Lehrer gesucht, der an der gerade wiedereröffneten Landesmusikschule ‚Tonsatz‘ geben sollte. Ich war zwanzig Jahre alt, unternehmenslustig, in dem gewünschten Fach auch ohne Hochschulstudium gut beschlagen, fühlte mich auch vom Rückenwind einiger kompositorischer Erfolge getragen und stellte mich, mit Empfehlungsbrief von Kurt Thomas versehen, in Hannover vor.“

Es war der Beginn einer hochengagierten Lehrtätigkeit, mit der Alfred Koerppen die Hochschule über mehr als vier Jahrzehnte prägte. 1948 trat er eine Stelle als Tonsatzlehrer an, im Dezember 1964 wurde ihm auf der Grundlage einer einstimmigen Befürwortung durch den Senat, nach sechzehnjährigem Wirken, das „maßgebenden Einfluss auf die Entwicklung der Hochschule gehabt“ hat, eine Professur für Komposition und Musiktheorie verliehen. Mit Wirkung vom 2. Mai 1969 wurde er in das Beamtenverhältnis übernommen, am 8. Januar 1992 trat er in den Ruhestand.

Alfred Koerppen bildete eine große Zahl von Studierenden aus, zu denen eine Reihe namhafter Komponisten, Dirigenten, Kirchen- und Schulmusiker gehören. 1991 schreibt er resümierend: „Kein Zweifel, der Lehrberuf hat seine Freuden und Genugtuungen, und meine Ortsfestigkeit kam der Hochschule zugute. Vierzehn Jahre lang habe ich im Senat gesessen und vier Chefs das Präsidentendasein erleichtert oder schwer gemacht. Eine Unzahl von Studenten habe ich unterrichtet, und daraus sind mindestens zehn echte Komponisten hervorgegangen.“ In seinen Gedanken beim Komponieren hat er 1990 seine Lehrtätigkeit mit Worten, die auch heute hochaktuell sind, kritisch reflektiert:

„Kann man Komposition unterrichten? Das Fach gehört zum Lehrangebot jeder Musikhochschule, und kompositorisches Handwerk wurde seit jeher vermittelt und vom Meister zum Schüler weitergereicht. Trotzdem gibt es Gründe, die Rechtmäßigkeit von Kompositionsunterricht zu bezweifeln. Gerade weil ein naiver Positivismus von den technisch orientierten Lehranstalten in die Kunst- und Musikhochschulen eindringt – eine Mentalität, die das Wissen um ein Know-how zur Rechtfertigung nimmt, um Lehrbarkeit zu begründen – muss deutlich gesagt werden, dass vom künstlerischen Lehrer mehr und anderes verlangt ist als ein ‚Wissensvorsprung‘. […] Es ist besser, wenn man den angehenden Komponisten auf einen der weniger extravaganten Studiengänge verweist […], weil das Talent erst mit der Zeit und im Laufe des Studiums übersehbar und abschätzbar wird. Komposition soll man nur diejenigen lehren, die eigentlich schon komponieren können. Dann kann man den Studenten auf den Weg zu sich selbst bringen, man kann ihn, ist ein persönlicher Tonfall vernehmbar, im Eigenen bestärken und den Weg abkürzen.“

Seine Ortsfestigkeit bewertete Alfred Koerppen im Rückblick eher kritisch – und sie wäre wohl auch nicht lebbar gewesen ohne Italien: 1960 wurde Alfred Koerppen der Rompreis zuerkannt, verbunden mit einem einjährigen Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom. Koerppen siedelte sich nach dieser Italienerfahrung mit der Geigerin Barbara Boehr, die er 1961 heiratete, in Sezze an. Hier verbachte er ab 1962 die vorlesungsfreie Zeit, die vor allem dem Komponieren gewidmet war: Seine „kompositorische Arbeit, in der ich nach meinem Selbstverständnis eine zentrale Lebensaufgabe sehe“, habe er „zum größten Teil in den Ferien“ geleistet, schreibt er, als er sich für das Wintersemester 1983/84 erstmals nach der Möglichkeit eines Freisemesters erkundigt, das er im Wintersemester 1984/85 antritt. Eine zweite Freistellung erfolgt 1987, als Alfred und Barbara Koerppen für einen Monat an die Musikhochschule Shanghai gingen, wo beide lehrten und Kurse abhielten.

Am 5. Juli 2022 verstarb Alfred Koerppen. Wir trauern um ihn und werden seiner dankbar gedenken.