Meldungen
Mittwoch, 20.09.2023 11:25 - Alter: 2 Jahre
Trauer um Anton Plate
Die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) trauert um den Komponisten und Musiktheoretiker Anton Plate. Sein Leben und Wirken war über mehr als vier Jahrzehnte eng mit unserer Hochschule verknüpft.
»Anton Plate ist immer das gewesen, was er bis zu seinem Lebensende war: Komponist. Einer also, der Musik erfindet. Einer von denen, ohne die unser ganzes Bemühen, unser Dasein als Musiker überflüssig und tatsächlich sinnlos wäre.« Mit diesen Worten erinnert Martin Brauß, Professor für Oper/Dirigieren an der HMTMH, an seinen langjährigen Kollegen und Freund.
Komponieren habe für Plate bedeutet, »eine eigene musikalische Welt mit seinen Tönen neu zu schaffen aus Freude am musikalischen Nachdenken und Erfinden. Diese seine Welt aber war immer eine Gegen-Welt, weil er ein tiefes, manchmal verzweifeltes Ungenügen an dieser unserer heillos normalen Welt empfand«, so Martin Brauß. Mit »geradezu brachialer Standhaftigkeit« habe Plate sich einem Kulturbetrieb verweigert, der »künstliche Karrieren fabriziert und Scheinriesen erschafft.« Er sei misstrauisch gewesen »gegen den Glanz der Blender, den schnellen Erfolg der Schwätzer. Aber er liebte das Licht und das unverbrauchte Wort und den selbstgedachten Gedanken.«
Der Komponist und Musiktheoretiker Anton Plate wurde am 4. Januar 1950 in Hildesheim geboren. Mit fünf Jahren erhielt er den ersten Klavierunterricht, bereits ab dem 13. Lebensjahr war er als Organist im Hildesheimer Dom tätig. Nach dem Abitur in seiner Geburtsstadt studierte er ab 1968 an der Musikhochschule Hannover zunächst das Fach Künstlerisches Lehramt Musik an Gymnasien und schloss dieses Studium 1972 ab. Anschließend studierte er Musiktheorie bei Alfred Koerppen und Komposition bei Heinrich Sutermeister und legte 1975 die Erweiterungsprüfung für das Hauptfach Tonsatz und Gehörbildung ab. Zu dieser Zeit war er bereits seit mehreren Jahren als Komponist tätig. Als solcher war er im Jahr 1976 Stipendiat in der Villa Massimo, im Jahr 1979 erhielt er das Niedersächsische Künstlerstipendium.
Zu Plates Werken zählt u. a. die 1983 entstandene Oper »Lisabetta und Lorenzo«, die von Jean Soubeyran inszeniert wurde, der auch am Libretto mitgearbeitet hatte. Zwischen 1999 und 2003 schrieb Plate im Auftrag von Ingo Metzmacher und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg die Orchesterwerke »You Must Finish Your Journey Alone«, »Passing«, »Leaving«, »At The River« und »Abschied« für die Reihe »Who Is Afraid Of 20th Century Music?« Noch im Jahr 2023 gab es zwei Uraufführungen von Plates Werken unter der Leitung von Metzmacher: Im Januar spielte die NDR Radiophilharmonie erstmals die sechssätzige Sinfonie »Libération« für Sopran und Orchester mit Marlis Petersen als Solistin, im April folgte das Orchesterwerk »Casino« mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin.
»Im Komponieren«, so hatte es Anton Plate im Jahr 1991 selbst in einem Lebenslauf geschrieben, habe er spätestens seit 1970 seine »wichtigste Tätigkeit« gesehen und »wesentlich daraus« auch seine »Profession als Lehrer« abgeleitet. Am 1. Dezember 1973 erhielt Plate einen Lehrauftrag für Generalbass, Partitur und Improvisation an der heutigen Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, die kurz zuvor in einen ikonischen Neubau am heutigen Neuen Haus gewechselt war, um in eine neue Zeit aufzubrechen. Ab 1975 arbeitete er als hauptberufliche Lehrkraft in diesem Bereich und übernahm dort im Jahr 1982 schließlich eine Professur für das künstlerische Fach Tonsatz und Gehörbildung. Über viele Jahre engagierte er sich auch im Senat der Hochschule.
Anton Plate war für mehrere Studierendengenerationen ein inspirierender und wegweisender Lehrer und eine über Jahrzehnte hinweg prägende Persönlichkeit der HMTMH. »Das Fundament seines Unterrichts war ein tiefer Respekt vor dem unverstellten und aufrichtigen Ausdruck menschlicher Individualität, zu dem Musik fähig ist, auch vor ihren Rätseln und Geheimnissen«, erzählt Stefan Mey, der in den neunziger Jahren bei Plate studiert hat und heute selbst Professor für Musiktheorie an der HMTMH ist. »So ist auch die Unterscheidung zu verstehen, die er mir als jungem Studenten mit unvergesslichem Nachdruck mitgab: die Unterscheidung zwischen Kunst und bloßem Kunstgewerbe, das auch an einer Musikhochschule wie der unseren oft im Vordergrund stehe.« Einer Musikkultur, die sich vor allem am »Wie« musikalischer Aufführung und ihrer wettbewerbsmäßigen Verwertung orientiere, habe er mit Unverständnis und offener Ablehnung gegenübergestanden.
Musik als Ausdruck menschlicher Individualität – dieses Denken prägte auch Plates Verständnis von Musiktheorie: »Sie war für ihn kein Insistieren auf Tonsatz-Regeln und erst recht kein blindes Anwenden tradierter Begriffe und Zeichensysteme. Sie war eine lebendige und immer persönliche Auseinandersetzung mit der Musik in all ihren Aspekten und zugleich Reflexion unseres Sprechens darüber«, so Mey. Plate habe exemplarisch für ein »spezifisch hannoversches fachliches Selbstverständnis« gestanden, ohne seinerseits eine eigene »Schule« begründen zu wollen.
Als Komponist, Musiktheoretiker und Schulmusiker verband Anton Plate die ganze künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Bandbreite, die die HMTMH bis heute auszeichnet, in seiner Person. Im Jahr 2010 wechselte er aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand. Aus diesem Anlass fand im April 2013 ein Abschiedskonzert im Richard Jakoby Saal statt: Neben anderen Werken spielte das Junge Sinfonieorchester Hannover, dessen Dirigent Plate von 1973 bis 1998 gewesen war, auch dessen Ouvertüre »AHAB«.
»Sein Denken und mithin sein ganzes Dasein und Wirken als Hochschullehrer war auf eine unvergleichliche Weise eigenständig«, sagt Martin Brauß: »Sie bezog ihre charakteristische Kraft aus drei – unterschiedlich gewichteten – geistig und politisch extrem dynamischen Bewegungen: dem alten deutschen Humanismusideal, der wilden, glückssuchenden amerikanischen Freiheitsutopie und dem neuen deutschen 68er-Widerstand gegen das verlogene Verschweigen, Verbrämen und Vergessen.«
»Das Leben ist ein immerwährendes Abschiednehmen, ein immerwährendes Loslassen«, so hat es Anton Plate einmal formuliert. Am 8. September 2023 starb er im Alter von 73 Jahren in Braunschweig. Wir werden seiner dankbar gedenken.
- Nachtrag: Am 28. November 2024 spielten Studierende, Lehrende, Alumni und Freund*innen ein Gedenkkonzert zu Ehren von Anton Plate im Richard Jakoby Saal der HMTMH.