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Freitag, 14.11.2025 16:57 - Alter: 4 Minuten
Trauer um David Wilde
Die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) trauert um ihren langjährigen Lehrenden, den Pianisten und Komponisten Prof. David Wilde.
David Wilde wurde am 25. Februar 1935 in Manchester geboren. Bereits als Kind wurde er gefördert von Soloman und war ein Schüler von Franz Reizenstein. Er studierte Komposition am Royal Manchester College of Music und begann eine eindrucksvolle internationale Karriere als vielfach ausgezeichneter Konzertpianist. Im Jahr 1981 kam er als hauptberufliche Lehrkraft für Klavier an die heutige HMTMH. Hier wurde er am 9. Januar 1984 zum Professor ernannt und lehrte bis zu seinem Wechsel in den Ruhestand im März 2000. Anschließend war er noch für zwei Semester als Lehrbeauftragter tätig.
Christopher Oakden, Professor für Klavier an der HMTMH, erinnert sich an seinen früheren Lehrer und späteren Kollegen:
„David Wilde war Komponist, Intellektueller, Pädagoge und auch politisch engagiert. Vor allem aber war er ein wahrhaft phänomenaler Pianist. Während des 2. Weltkriegs als ‚Boy Pianist‘ bekannt, führte er bereits als Achtjähriger das Klavierkonzert von Edvard Grieg in einer Rundfunkübertragung auf. In dieser Zeit entstand auch eine erste Schallplattenaufnahme. Er studierte u. a. bei Franz Reizenstein, Iso Ellinson und Nadia Boulanger, zu seinen engsten Freunden während des Studiums gehörten der Pianist John Ogdon und die Komponisten Ronald Stevenson, Peter Maxwell Davies und Alexander Goehr. Nach dem Gewinn mehrerer Wettbewerbe, u. a. des Liszt-Bartók Wettbewerbs 1961 in Budapest, führte er über 20 Jahre lang das hektische Leben eines reisenden Klaviervirtuosen, Orchester- und Ensemblepianisten, Liedbegleiters und Kammermusikers. Er ist oft kurzfristig eingesprungen, musste ein kolossales Repertoire in sehr kurzer Zeit bewältigen und hat nebenbei zahlreiche Rundfunk- und Fernsehvorträge vorbereitet.
Als er an der HMTMH als Professor berufen wurde, hatte ich das große Glück, bis zu meinem Konzertexamen 1986 zu seinen Studierenden zu gehören. Stets freundlich, konstruktiv, kollegial, respektvoll und auch lustig, waren sein großer Erfahrungsschatz, sein grenzenloser Enthusiasmus sowie seine Fähigkeit, mühelos mit seiner fabelhaften Technik alles einfach sehr viel besser zu spielen, eine ständige Inspiration für uns alle. Auf der Konzertbühne ahnte man aber, was für ungeheure, fast diabolische Kräfte in ihm walteten, miteinander kämpften – Kräfte, die nur mit eiserner Disziplin unter Kontrolle zu halten waren. Diese Spannungen, aber auch seine Kompromisslosigkeit, konnten zu Interpretationen von fast verstörender Intensität führen, die mitunter auch für das Publikum durchaus eine Herausforderung darstellen konnten.
Die Kritik seines Antrittskonzertes an der HMTMH trug die wunderbar treffende und bezeichnende Überschrift ‚Ein Klaviertitan stellt sich vor‘. Am Anfang des Programms standen die Nocturne op. 27/2 und die Fantasie von Frédéric Chopin; bei dieser wird der langsamere Mittelteil durch einen einfachen Dreiklang unterbrochen, der in seinen Händen von so schockierender Wirkung war, dass das ganze Publikum – auch ich – vor Schreck hörbar zusammenzuckte. Nach den Improvisationen op. 20 von Béla Bartók folgte der erste Mephistowalzer von Franz Liszt: elektrisierend, schwindelerregend. Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in der zweiten Hälfte waren monumental – ich erinnere mich sehr gut daran, wie sich manche Gäste im Publikum zwischendurch immer wieder fassungslos anschauten.
Im Laufe der nächsten zwanzig Jahre wurden es viele solche Abende. David Wildes Spiel war alles andere als gefällig. Vielleicht neigte er manchmal zu übertriebener Emphase, aber seine Konzerte waren immer prägende, unvergessliche Ereignisse. Es waren neben den heroischen aber auch die eher lyrischen Interpretationen, die mich persönlich genauso bewegten: Die Impromptus op. 90 von Franz Schubert oder die Variationen f-Moll von Joseph Haydn waren von einer wunderbaren, offenherzigen Einfachheit, und seine erste Aufnahme von Richard Wagners Isoldens Liebestod in der Bearbeitung von Franz Liszt, im Jahre 1968 für die EMI eingespielt, bleibt für mich immer noch ein Wunder – der Einfluss des von ihm verehrten Alfred Cortot ist hier unüberhörbar. Diese Aufnahme ist leider nur noch schwer aufzutreiben, aber es sind glücklicherweise zahlreiche Aufnahmen aus den 70er Jahren und später auf YouTube vorhanden.
Nach seiner Pensionierung und dem Umzug nach Schottland hat David Wilde eine intensive Zusammenarbeit mit Paul Baxter und Delphian Records begonnen. Es entstand eine Reihe von neun CDs mit Werken von Frédéric Chopin, Ludwig van Beethoven, Franz Liszt, Ferruccio Busoni, Robert Schumann, Johannes Brahms und Luigi Dallapiccola in Interpretationen von beeindruckender Tiefe und Nachdenklichkeit.“
David Wilde verstarb am 23. Oktober 2025 im Alter von 90 Jahren in Schottland. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.