pressto | Unveröffentlichtes 2019/2020: Konzertreihe

Unter dem Radar: Lieder der DDR

Mit Gesängen aus einem verschwundenen Staat befasste sich im Mai 2019 eine künstlerisch-wissenschaftliche Spurensuche, die das Musikwissenschaftliche Institut und das Institut für Kammermusik und Lied der HMTMH gemeinsam veranstaltet hatten (verantwortlich: Jan Philip Schulze und Stefan Weiss). In vier Konzerten fächerten die Liedklassen aus Hannover, Dresden und den beiden Berliner Musikhochschulen ein breites Repertoire von Liedern aus der DDR auf; die Vorträge waren eng darauf abgestimmt und teilweise in die Konzerte eingewoben. Es war „die schönste Kooperation zwischen Künstlern, Wissenschaftlern, Zeitzeugen, Komponisten und Komponistinnen, die ich bisher erlebt habe“, fasste es einer der auswärtigen Redner am letzten Tag zusammen.

Mit der direkten Konfrontation von ‚innerlichen‘ Kunstliedern und offen ideologischen Massenliedern ging die Veranstaltung einen durchaus provokanten Weg. Darf man vertonte Ideologie der DDR heute noch auf die Bühne bringen, sie als Forschungsgegenstand ernst nehmen? Reaktionen von Zeitzeugen wie dem Komponisten Steffen Schleiermacher zeigten, wie heiß dieses Eisen noch 30 Jahre nach dem Mauerfall ist.

Zu Höhepunkten wurden drei Uraufführungen. Iris ter Schiphorst hatte mit Redefragmenten der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg ein „modernes Massenlied“ komponiert, um dessen Ausführung sich der Mädchenchor Hannover unter Leitung von Andreas Felber verdient machte. Georg Katzer, einer der Pioniere Neuer Musik in der DDR, steuerte einen Zyklus auf eigene Texte bei, die zum Teil nicht weniger engagiert als diejenigen Thunbergs ausfielen. Für Katzer, der wenige Tage vor der Veranstaltung verstarb, war es das letzte Werk.

Stefan Weiss

 

Zuletzt bearbeitet: 26.04.2021

Zum Seitenanfang